Kühe gehören zum alltäglichen Bild in Indien und sind nicht wegzudenken von den Straßen, wo sie sich gerne als lebende Verkehrsinseln zum Widerkäuen niederlassen. Kühe auf den Highways, Kühe am Strand, Kühe in engen Altstadtgassen, Kühe überall… Von den Hindus wird die heilige Kuh verehrt und nimmt als Mutter allen Lebens und als Erfüllerin von Wünschen, eine nicht zu überschätzende Rolle ein. Außerdem gilt die Kuh als Sitz aller Götter, so findet sich Shiva im Gesicht wieder, Brahma im Buckel und in den Hufen die heiligen Berge, um nur einige zu nennen. Eine Kuh hat auf der Straße immer Vorfahrt, sie mit dem Auto versehentlich anzufahren, steht unter Strafe und wer gar eine Kuh tötet, begeht in den Augen eines gläubigen Hindus einen Mord.
So könnte man meinen, dass es indischen Kühen besonders gut ergeht, sie gehegt, gepflegt und verhätschelt werden, bis sie eines Tages friedlich entschlafen. Tatsächlich stößt man bei diesem Thema aber zwangsläufig auf eines von vielen Paradoxa in Indien. Denn die in Städten lebenden Kühe streunen spindeldürr und scheinbar herrenlos durch die Straßen und machen sich hungrig über den Müll her. Das war in alten Zeiten sicherlich eine nette Recyclingidee. Allerdings finden sich heute in den Abfallbergen nicht nur Essensreste, sondern auch jede Menge Pappe und Plastik, das schließlich in den hungrigen Kuhmagen landet.
Das Töten der Kuh ist die abscheulichste aller irdischen Sünden«, heißt es in den Lehren Gott Krishnas. Sie zu essen ist für die meisten Hindus tabu. Auf Hochzeiten geht der erste Bissen an die Kuh, das Fernsehen überträgt Schönheitswettbewerbe für Kühe, religiöse Führer predigen die Heilkraft von Kuh-Urin. In fast allen indischen Bundesstaaten steht das Schlachten von Hausrindern unter Strafe. Und dennoch ist Indien der weltweit zweitgrößte Lederexporteur: Überall im Land werden Rinder zu Millionen in illegalen Schlachthäusern geschlachtet, in Hinterhöfen und sogar im Wohnzimmer. 2016 exportierte Indien Leder im Wert von sechs Milliarden Euro.
Diese Entwicklung führt zu Spannungen innerhalb des Landes. Hindu-Nationalisten kämpfen für ein landesweites Verbot zur Schlachtung der Kühe. Radikale Gruppen verüben sogar gewalttätige Angriffe auf Fleischtransporter, bedrohen Verkäufer und behindern die Arbeit an Schlachthöfen. Ihr Ziel ist es, diese Entwicklung zu stoppen. In Indien gibt es aber natürlich nicht nur Hindus, sondern auch große Gruppen von Christen und Muslimen. Ihnen ist das Töten von Rindern nicht verboten, wodurch vor allem Personen dieser Bevölkerungsgruppen die Arbeit mit den Kühen übernehmen. Einige setzen sich dafür ein, die Rindfleischbranche auszuweiten. Hinzu kommt, dass das Rindfleisch für ärmere Bevölkerungsgruppen oft eine günstige Alternative zu Geflügelfleisch darstellt.